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Albert Schweitzer, Vorläufer des Tierschutzes4 Leseminuten

von Christoph Ammann
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Albert Schweitzer

Der elsässische Arzt und Pastor erweiterte die Ethik weit über die menschlichen Beziehungen hinaus. Inspiriert durch eine Offenbarung im Herzen Afrikas, schmiedete er eine universelle Moral, die Menschen, Tiere und die Natur umfasst und die moderne ökologische Ethik vorwegnimmt.


L’Originalartikel ist auf Deutsch erschienen in SICHTWEISENSCHWEIZ.CH


Albert Schweitzer - Die Ehrfurcht vor dem Leben. Nur wenige Denker haben ihr Leben und ihre Ideen so eng miteinander verknüpft, und Schweitzer beschreibt sogar den Moment, in dem ihm dieser Ausdruck «Ehrfurcht vor dem Leben» in den Sinn kam. Es war im Jahr 1913, als er mit seiner Frau Helene von Lambarene aus reiste. Am dritten Abend fuhren sie am Fluss Ogooué entlang und «auf einer Sandbank auf der linken Seite liefen vier Nilpferde in die gleiche Richtung wie wir. Da kam mir in meiner großen Müdigkeit und Mutlosigkeit plötzlich der Ausdruck “Ehrfurcht vor dem Leben” in den Sinn, den ich, soweit ich weiß, noch nie zuvor gehört oder gelesen hatte».»

An den Quellen einer universellen Ethik

Eine Idee, die allerdings nicht aus dem Nichts kam. Denn Albert Schweitzer (1875-1965) hatte sich schon lange Gedanken darüber gemacht, dass die westliche Ethik sich nur für die Beziehungen zwischen den Menschen interessierte und den Rest der Schöpfung außer Acht ließ. Diese Erfahrung am Ogooué-Fluss war dennoch entscheidend für Schweitzers weitere Überlegungen, denn sie gab ihm den Schlüssel zur Entwicklung einer Ethik, die uns «nicht nur mit Menschen, sondern mit allen Geschöpfen in unserer Umgebung» in Kontakt bringt und uns zum Handeln verpflichtet. Schon als Kind interessierte sich der spätere Friedensnobelpreisträger für das Schicksal der Tiere. So erzählte er, dass er jeden Abend, nachdem er mit seiner Mutter gebetet hatte, «heimlich ein zusätzliches Gebet hinzufügte, das er selbst für alle Lebewesen verfasst hatte».

Dennoch war es noch ein weiter Weg, eine Ethik zu formulieren, die nicht bei unseren Mitmenschen stehen bleibt, sondern uns letztlich in eine neue Beziehung zu allem, was existiert, setzt. Diese Befreiung der Ethik aus einem engen anthropozentrischen Korsett macht ihn zu einem Pionier der Tier- und Umweltethik und kann als eine seiner bleibenden Leistungen angesehen werden.

Respekt vor allem Leben

Wenn Schweitzer von «Leben» spricht, bezieht er sich nicht nur auf das Leben von Menschen:

«Der Fehler der gesamten bisherigen Ethik bestand darin, das Leben als solches nicht als den geheimnisvollen Wert anzuerkennen, mit dem sie es zu tun hat. [...] Der Versuch, allgemeingültige Wertunterschiede zwischen Lebewesen festzulegen, läuft darauf hinaus, sie danach zu beurteilen, wie nah oder fern sie uns Menschen nach unserer Wahrnehmung sind, was ein völlig subjektives Kriterium ist. Wer von uns weiß, welche Bedeutung ein anderes Lebewesen für sich selbst und für die Welt als Ganzes hat?».»

Der Respekt, von dem Schweitzer spricht, ist also auch der Respekt vor den Tieren, der Respekt vor den Bienen, den Regenwürmern, den Spatzen. Denn der Respekt, von dem Schweitzer spricht, ist nicht ein Respekt, den mir ein Wesen aufzwingt, weil es beeindruckende Fähigkeiten hat, weil es dem Menschen so ähnlich ist oder weil es so «süß» ist wie mein kleiner Hund. Das erinnert nicht zufällig an die Liebesethik Jesu, die die Liebe nicht auf liebenswerte Menschen in unserer Nähe beschränkt, sondern uns dazu auffordert, die Welt mit den Augen der Liebe zu betrachten und so von Fall zu Fall herauszufinden, wer hier und jetzt «unser Nächster» ist. Es ist daher kein Zufall, dass Schweitzer seine Ethik der Ehrfurcht vor dem Leben als «universell erweiterte Ethik der Liebe» betrachtete.

Zwischen Konflikten und Verantwortung

Schweitzer verlangte nicht weniger als den Eintritt in eine neue Beziehung mit jede Leben und sogar mit dem Universum. Aber er war sich durchaus bewusst, wie sehr uns eine solche Haltung in Widersprüche und Konflikte stürzt:

«Meine Existenz gerät auf tausendfache Weise in Konflikt mit der Existenz anderer. Die Notwendigkeit, Leben zu zerstören und zu schädigen, wird mir auferlegt». Dies gilt nicht nur für seine Tätigkeit als Arzt, in der er zum «Serienmörder von Bakterien» wird, sondern für die gesamte menschliche Existenz. Jeder von uns kann sagen: «Ich bin ein Leben, das leben will, inmitten von anderem Leben, das leben will.»

Konflikte gibt es also überall, und Schweitzer sah es nicht als Aufgabe der Ethik an, diese Konflikte für die Menschen zu lösen und ihnen Patentrezepte dafür zu liefern, was sie tun können und sollen. Wer in Schweitzers Ethik nach Antworten auf ein konkretes ethisches Problem sucht, wird sie nicht finden. Eine Ethik, die das eigene Gewissen beruhigen sollte, war ihm zuwider, denn sie wurde nicht nur der Komplexität unserer Realität nicht gerecht, sondern machte uns auch unempfänglich für den immer wiederkehrenden Ruf nach Verantwortung.

«Wir dürfen uns nie abstumpfen», sagte er. «Nur wenn wir Konflikte immer tiefer durchleben, sind wir in der Wahrheit.» Auch hier nähert sich Schweitzer der Botschaft Jesu, der sich in seiner Schroffheit ebenfalls weigert, ethische Forderungen abzuschwächen und Kompromisse anzubieten.

So erinnern wir uns 150 Jahre nach seiner Geburt und 60 Jahre nach seinem Tod an Schweitzer als einen ethischen Provokateur. So harmlos der Ausdruck «Ehrfurcht vor dem Leben» auch klingen mag, er birgt ein revolutionäres Potenzial. Auch heute noch.

Christoph Ammann ist Pfarrer in der reformierten Kirchgemeinde Zürich Witikon. Zuvor war er viele Jahre lang im akademischen Bereich tätig, davon neun Jahre als Oberassistent am Institut für Sozialethik der Universität Zürich. Seit 2016 ist er Präsident von AKUT, dem Arbeitskreis Kirche und Tiere.

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