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Politik

Erfahrungsbericht

Damit Kinder sich selbst verwirklichen können, müssen alle am gleichen Strang ziehen7 Leseminuten

von Nathalie Meyer
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Wenn Kinder mit Migrationshintergrund in der Schule auffallen, sehen viele die Verantwortung dafür bei der Schule. Dabei haben die Probleme ihren Ursprung oft in der Familie.


L’Originalartikel ist auf Deutsch erschienen in Schweizer Monat.


Seit 35 Jahren unterrichte ich an einer Primarschule in Basel-Landschaft. Neben den Regelklassen bietet der Kanton auch Kleinklassen an. Nach zwei Jahren im Kindergarten und sechs Jahren in der Primarschule treten die Kinder auf Empfehlung ihrer Lehrperson in die allgemeine, erweiterte oder vorgymnasiale Stufe der Sekundarschule über. Auch die Eltern können eine Übertrittsprüfung für ihr Kind beantragen. In der Sekundarschule gibt es auch klasseninternen Förderunterricht sowie kleinere Klassen für Schüler mit besonderen sozialen oder intellektuellen Bedürfnissen.

Rund 30% der Schülerinnen und Schüler in den obligatorischen Schulen in Basel-Landschaft haben nicht die Schweizer Staatsbürgerschaft. In der Sekundarstufe II liegt diese Zahl noch bei rund 25%.

Viele haben eine feste Meinung zum Thema Migration und Schule. Ich höre oft den Satz «Die Schule wird es schon richten», wenn Kinder mit Migrationshintergrund auffallen. In der Grundschule treffen wir jedoch auch auf Kinder ohne Migrationshintergrund, die Schwierigkeiten beim Verstehen von Texten haben oder sozial auffällig sind. Die Schüler verbringen nur wenige Stunden am Tag in der Schule - ihr sozioökonomisches Umfeld hat einen größeren Einfluss.

Lehrer übernehmen Bildungsaufgaben

In der Grundschule lernen Kinder aller Leistungsniveaus gemeinsam, anders als in der Sekundarschule. Wir Grundschullehrer sind Meister in der Kunst der Individualisierung. Wir unterrichten in einer Klasse mit unterschiedlichen Leistungsniveaus, damit alle Schülerinnen und Schüler bestmöglich gefördert und gefordert werden können. Um dies zu erreichen, übernehmen wir Erziehungsaufgaben und arbeiten eng mit den Eltern zusammen. Das sprichwörtliche «Dorf» (Dorf), die notwendig ist, um ein Kind großzuziehen, besteht also zum größten Teil aus der Grundschule, und dieses System funktioniert gut.

Mit etwa 13 Jahren sind viele Jugendliche bereit, neue Wege zu erkunden. Der Wechsel in die Sekundarschule kann ihnen dabei helfen, ihre Gewohnheiten in Frage zu stellen. In den Niveaukursen der Sekundarschule werden viele Kinder desselben Niveaus in einer Klasse zusammengefasst, wo sie sich miteinander messen und Fortschritte machen können. Das schafft eine neue Motivation: «Jetzt kann ich zeigen, was ich kann.» Meine Lehrerkollegen in der Sekundarschule fördern diese Motivation und setzen die sehr guten Schülerinnen und Schüler tatsächlich in eine höhere Stufe.

Bewegen statt auf einen Bildschirm schauen

Wenn alle Beteiligten - Kinder, Schule, Eltern, Betreuungspersonen, Sportvereine und Musikschulen - gemeinsam nach Lösungen suchen, können Kinder mit und ohne Migrationshintergrund ihr Potenzial besser ausschöpfen.

Wir Grundschullehrer stellen jedoch oft fest, dass in manchen Familien die Mütter zu viel Verantwortung auf ihren Schultern tragen. Sie arbeiten auswärts, kümmern sich um den Haushalt und die Familie - und müssen ihre Kinder zusätzlich zum Lesen motivieren, oft bei laufendem Fernseher. Manchmal dauert es zwei Generationen, bis sich ein demokratisches Familienkonzept mit einer gerechten Arbeitsteilung und einer angemessenen Kinderbetreuung etabliert hat.

Externe Kinderbetreuungsplätze sind teuer. Unterstützungsangebote wie Psychomotorik oder psychologische Betreuung sind organisatorisch schwer zugänglich oder für viele Working Poor-Eltern, vor allem aus anderen Kulturkreisen, schlichtweg unverständlich.

Manchmal können auch Unterschiede in der Lebensweise Stress für die Kinder bedeuten. Die Hausaufgaben in Ruhe und organisiert zu erledigen, ist nicht in allen Kulturen die Norm. Wir erwarten von Kindern, dass sie früh ins Bett gehen, damit sie im Unterricht wach und aufnahmefähig sind. Eine schwierige Aufgabe, wenn die Familien bis spät abends noch aktiv sind.

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Die Schule sollte daher nicht nur ein Ort des Lernens sein, sondern auch ein Zentrum mit sinnstiftenden Freizeitaktivitäten, mit Angeboten für körperliche Aktivitäten und Spiele. In vielen Gemeinden gibt es kaum noch Spielplätze in den Wohnvierteln, und viele Kinder verbringen ihre Zeit vor Bildschirmen statt im Freien. Ganztägige Kindertagesstätten auf dem Schulgelände - von 6 bis 18 Uhr, auch in den Ferien und für einkommensschwache Familien kostenlos - könnten für manche Kinder ein Rettungsanker sein.

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Das Schweizer Bildungssystem ist durchlässig: Die Sekundarschule und die Berufslehre bieten zahlreiche Möglichkeiten für weiterführende Studien, insbesondere mit der Berufsmaturität oder der «Passerelle». Studien zeigen zwar, dass Kinder ungleiche Startbedingungen haben. Meine Erfahrung mit ehemaligen Schülern bestätigt mir jedoch, dass nach der sechsten Klasse nicht alles verloren ist. Allerdings stellen Stipendien für viele eine schwer zu überwindende Hürde dar und können lernwillige Jugendliche bremsen.

Die Sprache stellt für Kinder mit Migrationshintergrund oft ein Hindernis dar. Nur 62% der Pflichtschulkinder in der Deutschschweiz sprechen Deutsch als Hauptsprache. Sprachbarrieren erschweren das Lernen in allen Fächern. In der Mathematik geht es längst nicht mehr nur um Arithmetik: Schwierige Aufgaben stellen für fremdsprachige Kinder oft eine große Herausforderung dar. Hinzu kommt, dass Grundschulkinder noch nicht die nötige Reife haben, um selbstständig zu erkennen, ob sie einen Text richtig verstanden haben oder welche Schlüsselwörter ihnen helfen könnten, ihn zu verstehen.

Die Beherrschung der Sprache ist ein Schlüsselfaktor für den schulischen Erfolg. Deshalb legen wir großen Wert auf einen frühen Spracherwerb, noch vor dem Eintritt in den Kindergarten. Als Lehrer können wir gut einschätzen, ob ein Kind einfach nur Zeit braucht, um seinen Sprachrückstand aufzuholen, oder ob es an seine Grenzen stößt.

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Im Laufe meiner Karriere habe ich auch Kinder empfohlen, deren Leistungen derzeit zu schwach waren, um eine höhere Sekundarstufe zu besuchen, da ihre intellektuellen Fähigkeiten und ihr günstiges Umfeld dies rechtfertigten. Einige schafften es später sogar, ohne Schwierigkeiten in die Oberstufe zu wechseln. Umgekehrt empfehle ich Kindern, die vernachlässigt werden oder in einem wenig anregenden Umfeld leben, mehr Zeit auf einer angemessenen Stufe mit intensiver Betreuung zu verbringen, damit sie nicht überfordert werden. In einem dualen und durchlässigen Bildungssystem führen diese Wege auch zu erfolgreichen Schul- und Berufskarrieren.

Die Schule, ein «Dorf im Dorf»

Zurzeit behandelt meine Klasse das Thema «Das antike Rom». Wir sprechen darüber, wie die Römer halb Europa eroberten und vergleichen dies mit unserem bunten Alltag auf dem Schulhof. Die Kinder erkennen dann, dass wir heute in einer vielfältigen und bunt gemischten Gesellschaft leben, in der jeder mit seinen Stärken und Schwächen leben und friedlich mit anderen zusammenleben kann. In der Schweiz haben Kinder aus allen Kulturen, unabhängig vom Bildungsniveau ihrer Eltern, die Möglichkeit, beruflich erfolgreich zu sein.

Die persönliche Motivation und die Möglichkeiten, die das duale und durchlässige Bildungssystem mit seinen lebenslangen Weiterbildungsmodulen bietet, sind für jeden zugänglich. Unsere Gesellschaft hat die Verantwortung, die Schule ständig neu zu überdenken und ergänzende und zugängliche Begleitangebote bereitzustellen, um Kindern und Jugendlichen dabei zu helfen, ihr Potenzial voll auszuschöpfen. So kann die Schule wirklich zu einem «Dorf im Dorf» werden.

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